Wenn die Börsenkurse fallen – Zur Aktualität des Themas

Wenn die Börsenkurse fallen – Zur Aktualität des Themas

Wenn die Börsenkurse fallen, regt sich Kummer fast bei allen. So beginnt ein Gedicht von Tucholsky. Er nimmt Stellung zu Leerverkäufen und Spekulationen, die die große Weltwirtschaftskrise ausgelöst hatten und letztlich Ursache für das Erstarken der Nationalsozialisten war. Beschrieben wird auch die Konsequenz. Sie besteht darin, dass ein ‚bisschen Krieg‘ gemacht wird, sollten sich die Massen das nicht mehr gefallen lassen.

Rot-Grün unter Kanzler Schröder (1998-2005) entließ den Finanzmarkt weitgehend aus der Aufsicht der Bundesbank. Man nannte es Liberalisierung und  ermöglichte Hedge-Fonds und ungezügelte Spekulationen. Um das Jahr 2000 waren Voraussetzungen und Folgen der wesentlich durch Spekulationen ausgelösten Wirtschaftskrise 1929/31 schon Geschichte. Die Ursachen für Nationalsozialismus, Diktatur und Krieg waren somit offensichtlich schon vergessen.

Wie der Blitz aus heiterem Himmel zeigt die Realität der gegenwärtigen globalen Finanzwelt, dass Spekulationen, Krise und Zerstörung auch derzeit Risiken des Finanzkapitalismus sind. Unsere angeblich so freien Medien schweigen z.B. darüber, dass die Entfesselung des Finanzkapitalismus eine wahre Kette von faktischen Enteignungen durch Spekulationen ausgelöst hat.

Welche wahrhaft perversen Konstellationen dadurch möglich werden, haben die aktuellen Shortseller Aktionen gezeigt. Hedge-Fonds leihen sich mit Cent-Beträgen Aktien. Die geliehenen Aktien werden verkauft (sog. Leerverkäufe), um im Rahmen von Termingeschäften wieder gekauft zu werden. (Tucholsky: „keck verhökern diese Knaben, Dinge, die sie gar nicht haben“.) Damit werden Kurse von Aktiengesellschaften ins Minus getrieben, weil es rechtlich möglich ist, geliehene Aktien (Stichwort: Leergeschäfte) zu verkaufen. Mit relativ geringen Beträgen kann man so relativ große Aktientransaktionen vornehmen. Beispiel: Bei der Spekulation gegen Gamestop hatten die Shortseller sagenhafte 140 Prozent der frei verfügbaren Gamestop-Aktien leerverkauft.

Mit diesen und ähnlichen Transaktionen treiben die Spekulanten (Short-Seller) die Kurse nach unten und zwingen Kleinanleger zu verlustreichen Verkäufen.  Viele Kleinanleger  geraten in eine Schuldenfalle und müssen Häuser und Wohnungen verkaufen.  Die Hedge-Fonds dagegen kaufen nun billig zu den gefallenen Kursen auf und sie wickeln das Ausgangsgeschäft preiswert ab. Sie machen Profit, der sich zu Milliarden addiert.

Der einzige Sinn von Geschäften dieser Art besteht darin, durch die Manipulation von Aktienkursen Kleinanleger abzuzocken. Das ist die sogenannte Freiheit der Märkte, die z.B. in Deutschland und Europa durch Rot-Grün ermöglicht wurde. Es ist deshalb nicht weiter erstaunlich, dass selbst die Krise 2008/09, die durch Spekulationen verursacht wurde, keine Änderung durch die Politik nach sich zog. Wen wundert es, dass hier alle Parteien wieder an einem Strang ziehen.

Nun hat eine Gruppe junger Leute in den USA die Spekulanten auflaufen lassen. Es wurde ein Netzwerk gebildet, um gemeinsam mit Gegenspekulationen Hedge-Fonds mit ihren eigenen Mitteln zu attackieren. Mit koordinierten Aktionen werden die jeweiligen Märkte verknappt und die Preise in die Höhe getrieben. Die Short-Seller können sich nun nicht mehr preiswert eindecken, sondern sie müssen ihre terminierten Geschäfte verlustreich abwickeln. Im Ergebnis verloren Hedge-Fonds  Milliarden, weil die Preise in die falsche Richtung marschierten. Spekulanten wurden zu betrogenen Betrügern. Manche verloren 50% ihres Kapitals.

Aber Hilfe nahte für die Spekulanten: Broker der US-Börsen setzten den Handel mit den fraglichen Titeln aus – offensichtlich nach Absprachen – und blockierten so die angeblich freien Märkte, die man unter den Fonds so schön aufgeteilt hatte. Es begann das Gezeter über Regelbrüche und Unsicherheiten. Auch Politik und Medien sind sensibilisiert. Angeblich funktionieren plötzlich die Finanzmärkte nicht mehr. Merke: Für Spekulationen muss man vorher die passenden Regularien politisch eingetütet haben. Die passenden politischen Handlanger findet man nicht nur in Amerika, sondern auch bei uns in den staatstragenden Parteien.

Die Moral von der Geschichte beschreibt Tucholsky in seinem Gedicht: „Aber sollten sich die Massen das mal nimmer bieten lassen, ist der Auswege längst bedacht: Dann wird bisschen Krieg gemacht“. Kriege wie die in Jugoslawien, Syrien, Libyen, Irak und die Propaganda gegen Chinesen und Russen bekommen plötzlich eine neue Bedeutung. Alles nur Verschwörungstheorie? Aber wissen wir denn, ob der Ausweg aus dem Raubtierkapitalismus nicht schon längst wieder bedacht ist? So ist und bleibt das nachfolgend genannte Gedicht von Tucholsky brennend aktuell.

  1. Kruse

Wenn die Börsenkurse fallen

Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen – echt famos!

Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.

Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.

Trifft’s hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken –
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!

Soll man das System gefährden?
Da muss eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.

Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.

Für die Zechen dieser Frechen
hat der kleine Mann zu blechen
und – das ist das Feine ja –
nicht nur in Amerika!

Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen –
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.

Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird bisschen Krieg gemacht.

 (Ein Gedicht: K. Tucholsky zugeschrieben)

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